
Als Autor*in im Selfpublishing triffst du viele Entscheidungen allein: beim Schreiben, Veröffentlichen, Vermarkten – und besonders beim Überarbeiten. Du holst dir Feedback von Testleser*innen, vielleicht auch aus einer Schreibgruppe oder von Sensitivity Readern. Und dann kommt es: viel Feedback. Manchmal hilfreich, manchmal widersprüchlich. Und plötzlich stellst du dir die Frage:
Was soll ich davon übernehmen? Und was darf ich getrost ignorieren?
Keine Sorge: Du bist damit nicht allein. Und du kannst lernen, auch widersprüchliche Rückmeldungen so zu nutzen, dass dein Manuskript davon profitiert – ohne dass du deine eigene Stimme verlierst.
Schritt 1: Erst mal durchatmen – und NICHT sofort reagieren
Feedback berührt unser Innerstes. Klar, du hast monatelang an deinem Text gearbeitet. Du kennst jede Szene, jeden Blick deiner Figuren, jedes Kapitelende. Und dann liest du: „Die Hauptfigur war mir zu zweidimensional.“ Oder: „Ich bin nicht reingekommen.“
Lies das Feedback. Aber bewerte es nicht sofort. Lass es sacken. Vielleicht ein paar Stunden, vielleicht ein paar Tage. Es ist völlig okay, wenn du dich im ersten Moment geärgert oder getroffen gefühlt hast. Du musst nichts sofort ändern. Lies es, lass es wirken, und nimm dir dann die Zeit für einen klaren Blick.
Schritt 2: Wer sagt was? Ordne die Meinungen
Nicht jede Meinung ist gleich wichtig – und das ist gut so.
Unterscheide:
- Kommt das Feedback von Vielleser*innen deines Genres oder von Menschen, die sonst nie Fantasy, Sci-Fi oder Krimis lesen?
- Haben die Leser*innen dein Manuskript als Ganzes gelesen oder nur einzelne Kapitel?
- Reagieren sie aus fachlicher Sicht (z. B. Dramaturgie, Logik, Figurenentwicklung) oder aus emotionalem Leseerlebnis heraus?
Diese Einordnung hilft dir, Rückmeldungen besser einzuordnen, statt dich davon verunsichern zu lassen. Denn was für Gelegenheitsleser*innen sperrig wirkt, kann für dein Genre genau richtig sein.
Schritt 3: Suche Muster und Überschneidungen
Wenn zwei oder drei Leser*innen ähnlich empfinden, ist das ein Signal. Vielleicht schreiben sie es unterschiedlich:
- „Im Mittelteil hatte ich einen Hänger.“
- „Ich hab zwischendurch pausiert.“
- „Die Kapitel 10 bis 14 waren für mich am wenigsten spannend.“
Dann ist das nicht persönliche Laune, sondern ein möglicher struktureller Schwachpunkt.
Frage dich: Was passiert in diesem Abschnitt? Stockt die Handlung? Fehlt ein Konflikt? Ist die Figur zu passiv?
Wiederholen sich bestimmte Begriffe oder Formulierungen? Das zeigt dir, wo dein Text anders ankommt, als du es beabsichtigt hast.
Muster zu erkennen heißt: Den Kern des Problems erfassen. Nicht oberflächlich umschreiben, sondern gezielt verbessern.
Schritt 4: Wirkung statt Bewertung – was Feedback wirklich zeigt
Es gibt Feedback, das dich trifft, obwohl es nichts mit einem Fehler zu tun hat. Zum Beispiel:
- „Ich mochte die Ermittlerin nicht.“
- „Die Elfen waren mir zu arrogant.“
- „Ich konnte mit dem Hauptcharakter nichts anfangen.“
Das heißt nicht automatisch, dass deine Figur schlecht geschrieben ist. Vielleicht ist sie kantig, ambivalent, provozierend – und genau das ist gut so. Wichtig ist: Was soll diese Figur auslösen?
Wenn du einen distanzierten Ermittler schreibst, der durch seine Kälte fasziniert, dann darf es sein, dass Leser*innen ihn nicht „mögen“. Entscheidend ist: Ist das beabsichtigt? Ist die Wirkung bewusst gestaltet?
Ziel des Feedbacks ist nicht Gefälligkeit, sondern Wirkung. Und die kannst du gezielt steuern, wenn du weißt, wie dein Text bei anderen ankommt.
Schritt 5: Setze deine Prioritäten – und finde deine Linie
Nicht jedes Feedback muss zu einer Änderung führen. Die wichtigste Frage ist: Was dient deiner Geschichte?
Gehe Punkt für Punkt durch und frage dich:
- Verbessert diese Änderung meine Geschichte für meine Zielgruppe?
- Bleibt mein Stil dabei erhalten?
- Entspricht das meiner Erzählintention?
Manchmal ist Mut gefragt: zum Loslassen. Und manchmal: zum Festhalten. Nur weil jemand deinen Schreibstil nicht mag, heißt das nicht, dass du ihn ändern musst. Gerade im Selfpublishing darfst (und solltest!) du Ecken und Kanten behalten, wenn sie zu dir passen.
Extra-Tipp: Mach eine Testleser*innen-Runde mit Fokusfragen
Wenn du dir nicht sicher bist, ob eine bestimmte Rückmeldung wirklich fundiert ist oder ob sie eher aus persönlicher Vorliebe stammt, hilft manchmal eine gezielte zweite Feedback-Runde. Statt das ganze Manuskript erneut lesen zu lassen, kannst du gezielt einzelne Kapitel oder Szenen schicken – mit konkreten Fokusfragen.
Zum Beispiel:
- „Kommt in Kapitel 10 die Motivation der Figur klar rüber?“
- „Würdest du an dieser Stelle weiterlesen?“
- „Funktioniert der Perspektivwechsel aus deiner Sicht?“
So bekommst du fokussierte Rückmeldungen auf genau die Stellen, bei denen du selbst noch schwankst und verhinderst, dass du unnötig große Änderungen auf Basis von Einzelfeedback machst.
Dieser Schritt kostet etwas Zeit – aber er kann dir enorm dabei helfen, Unsicherheiten gezielt aufzulösen.
Fazit: Bleib bei dir – aber bleib offen
Widersprüchliches Feedback ist kein Zeichen dafür, dass dein Manuskript schlecht ist. Es ist ein Zeichen dafür, dass es wirkt. Dass es gelesen wird. Dass es unterschiedliche Reaktionen auslöst – und genau das willst du.
Du musst nicht alle glücklich machen. Nur dich – und die, die deine Geschichte wirklich erreichen soll.
Vorschau auf Teil 3:
Im nächsten Beitrag zeige ich dir, wie du aus vielen verschiedenen Rückmeldungen einen konkreten Überarbeitungsplan machst – Schritt für Schritt, ohne dich zu verzetteln.
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