
Zwischen Programmcode und Persönlichkeit: Worauf ich beim Lektorat achte
Künstliche Intelligenz ist längst in unserem Alltag angekommen. Wir nutzen Sprachassistenten, KI-gestützte Tools, Übersetzungsprogramme. Manche faszinieren uns, andere machen uns Angst. Gerade deshalb ist es spannend, KI-Figuren in Geschichten einzusetzen: Sie berühren zentrale Fragen unseres Menschseins.
Doch genau hier liegt die Schwierigkeit: Eine KI ist kein Mensch, aber wenn sie nur wie eine Maschine wirkt, bleibt sie zweidimensional. Wie gelingt es also, eine KI als glaubwürdige Figur zu erschaffen?
Warum uns KI-Figuren faszinieren
KI-Figuren sind ein literarischer Spiegel. Sie werfen Fragen auf, die wir uns sonst selten stellen:
- Was macht uns einzigartig?
- Können Maschinen Gefühle haben?
- Sind Entscheidungen, die rein logisch getroffen werden, wirklich besser?
Als Autor*in kannst du mit einer KI-Figur Spannungen sichtbar machen: Vernunft vs. Emotion, Logik vs. Moral, Fremdheit vs. Nähe.
Die häufigsten Stolperfallen
Bevor ich zu den Tipps komme, werfen wir hier einen Blick auf die Fehler, die ich im Lektorat am häufigsten sehe:
- Die KI weiß zu viel: Wenn deine Figur alles besser kann als die Menschen, nehmen ihr die Leser*innen das nicht ab.
- Die KI ist zu menschlich: Wenn sie sich wie ein normaler Mensch verhält, wird sie austauschbar.
- Die KI bleibt statisch: Wenn sie im Verlauf der Handlung nichts dazulernt, wirkt sie wie ein Requisit und nicht wie eine Figur.
Worauf es im Schreiben ankommt
1. Regeln festlegen – und einhalten
Definiere am Anfang, wie deine KI funktioniert:
- Hat sie Zugriff auf alle Datenbanken?
- Versteht sie Gefühle oder nur Handlungen?
- Gibt es eine Art „Programmiercode“, der sie einschränkt?
Diese Grundregeln sind das Fundament. Sobald du sie brichst, verliert deine Figur an Glaubwürdigkeit.
👉 Tipp: Schreibe dir einen „KI-Charakter“ wie bei einer Figur auf, in dem du festhältst, was sie kann und was nicht.
2. Sprache als Erkennungszeichen
Sprache ist das stärkste Mittel, um eine KI von Menschen zu unterscheiden.
- Nutzt sie kurze, präzise Sätze?
- Hat sie Mühe mit Metaphern oder Ironie?
- Lernt sie mit der Zeit, menschliche Sprachmuster zu übernehmen?
Je bewusster du diese Ebene steuerst, desto deutlicher wird die Figur.
3. Entwicklung zeigen
Eine KI, die von Anfang bis Ende gleichbleibt, ist keine Figur, sondern ein Werkzeug. Spannend wird es, wenn sie im Lauf der Geschichte dazulernt und eine Entwicklung durchmacht.
Das kann sehr unterschiedlich aussehen:
- Sie versteht zum ersten Mal ein menschliches Gefühl.
- Sie erkennt die Grenzen ihrer eigenen Logik.
- Sie stellt ihren Programmiercode infrage.
Gerade diese Lernmomente geben Raum für starke emotionale Szenen.
4. Beziehungen als Katalysator
KI-Figuren entfalten ihre Wirkung vor allem im Zusammenspiel mit anderen Charakteren. Überlege dir:
- Wie reagieren Menschen auf sie? Mit Misstrauen, Angst oder Neugier?
- Welche Rolle nimmt die KI im Team ein? Ist sie ein Werkzeug, ein Berater, ein Außenseiter oder ein Freund?
- Welche Konflikte entstehen durch ihre Andersartigkeit?
Ein Beispiel: Data aus Star Trek wäre ohne seine Crew nur halb so spannend. Erst durch den Austausch mit den anderen Besatzungsmitgliedern wird seine Suche nach Menschlichkeit greifbar.
5. Moralische Dimensionen einbauen
Eine KI-Figur eröffnet automatisch Fragen nach Verantwortung:
- Wer trägt Schuld, wenn eine KI etwas „Falsches“ tut: die Maschine oder der Programmierer?
- Hat eine KI ein eigenes Recht auf Freiheit?
- Was passiert, wenn eine KI eigene Ziele entwickelt?
Diese Fragen sind nicht nur philosophisch – sie können dein ganzes Plotgerüst tragen.
Beispiele, die inspirieren
- Data (Star Trek): klare Regeln, nachvollziehbarer Wunsch nach Menschlichkeit, kontinuierliche Entwicklung.
- HAL 9000 (2001: Odyssee im Weltraum): unerschütterliche Logik, die in Konflikt mit der menschlichen Moral gerät.
- Samantha (Her): eine KI, die Nähe schafft, aber zugleich durch ihre Andersartigkeit Distanz erzeugt.
- Neuere Literaturbeispiele (z. B. Martha Wells’ Murderbot-Diaries): Sie zeigen, wie eine KI gleichzeitig reflektiert, kritisch und zutiefst eigenständig sein kann.
Fragen fürs eigene Schreiben
Stelle dir folgende Fragen, wenn du selbst eine KI-Figur entwickeln willst:
- Welche Grundregeln bestimmen ihre Funktionsweise?
- Worin unterscheidet sich ihre Sprache von menschlicher Sprache?
- Was kann sie (noch) nicht und wie wirkt sich das auf die Handlung aus?
- Welche Entwicklung soll sie im Verlauf der Geschichte durchmachen?
- Wie verändert ihre Existenz die Menschen um sie herum?
Diese Fragen helfen dir, deine Figur konsequent und spannend zu gestalten.
Fazit: KI-Figuren mit Tiefe erschaffen
Künstliche Intelligenz als Figur ist eine große Chance, aber auch ein Balanceakt. Glaubwürdig wird eine KI dann, wenn du sie mit klaren Regeln versiehst, ihr Raum zur Entwicklung gibst und ihre Wirkung auf andere Figuren mitbedenkst.
Ob Data, HAL oder Samantha: Die besten Beispiele zeigen, dass KI-Charaktere uns nicht kaltlassen. Sie fordern uns heraus, lassen uns mitfiebern und machen Geschichten unvergesslich.
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